Über Adolf Damaschke
Adolf Damaschke entstammte einer Berliner Tischlerfamilie und wuchs in der räumlichen Enge einer Mietskaserne auf. Bis zum Alter von 10 Jahren verfügte er nicht einmal über ein eigenes Bett. Als er 1871 eingeschult wurde, gab es aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums für ihn keinen regulären Platz an der öffentlichen Volksschule. So besuchte er zunächst auf Staatskosten eine Privatschule. Als er später eine Gymnasialempfehlung erhielt, mussten seine Eltern aufgrund der zu erwartenden Kosten ablehnen.
1883 eröffnete sich für den 18-Jährigen die Möglichkeit, sich auf einer Freistelle des Berliner Pädagogischen Seminars zum Volksschullehrer ausbilden zu lassen. Zehn Jahre später trat er seine erste Stelle an und erlebte dann die soziale Not der eigenen Kindheit ein weiteres Mal – diesmal aus der Perspektive des Pädagogen. Sein erster öffentlicher Kampf galt der Lehrmittelfreiheit. In Vorträgen und Zeitungsartikeln setzte er sich dafür ein und geriet darüber in Konflikt mit seinem Arbeitgeber, dem Berliner Magistrat. Er wurde strafversetzt. 1896 ersuchte er selbst um Entlassung aus dem Schuldienst und wurde freier Schriftsteller: „Mich von der unmittelbaren Schularbeit zu trennen, ist das schwerste Opfer, das ich bringe. Aber ich muß meinen sozialen Idealen dienen, und das kann ich doch auf die Dauer nur, wenn ich gänzlich unabhängig bin.“ (Damaschke, Lebenserinnerungen) 1896 berief ihn Johannes Lehmann-Hohenberg zum Chefredakteur der 1894 gegründeten Kieler Neuesten Nachrichten.[1]
Einen wichtigen Impuls zu seinem eigentlichen Lebensthema, der Bodenreform, bekam er durch einen Vortrag des Nationalökonomen Adolph Wagner, in dem es um die Gewinne der Bodenspekulanten nach dem Krieg 1870/1871 ging. Die bis um 30 Prozent gestiegenen Bodenpreise ließen über Nacht Tausende von Berliner Arbeiterfamilien, die ihre Mieten nicht mehr bezahlen konnten, obdachlos werden.
Einen weiteren Impuls empfing Damaschke durch den „Deutschen Bund für Bodenbesitzreform“ (Michael Flürscheim 1888), besonders durch dessen Zeitschrift Freiland. In ihm wuchs die Erkenntnis, dass „das Anhäufen von Grundeigentum in den Händen Weniger unmittelbar oder in Form von Bodenverschuldung bei allen Völkern verhängnisvolle Folgen hat“. 1898 initiierte er die Gründung des „Bundes deutscher Bodenreformer“ (erst: „Deutscher Bund für Bodenreform“), dessen Vorsitzender er von 1898 bis 1935 war.
In der Bibel entdeckte er ein „großartiges Beispiel bodenreformerischer Gesetzgebung“. Grund- und Boden – so Damaschke unter Hinweis auf das 3. Buch Mose, Kapitel 25 – ständen unter göttlichem Eigentumsvorbehalt. Zwar durften Menschen das Land, das Gott ihnen als Leihgabe gibt, nutzen. Anspruch jedoch hatten sie aber nur auf den Ertrag ihrer Arbeit, nicht auf den Geldwert des Bodens, den so genannten „Bodenertragszuwachs“. Diesen Ertragszuwachs gilt es nach Damaschke steuerlich abzuschöpfen und der Allgemeinheit zukommenzulassen. Diese wiederum hat die Aufgabe, diese Steuergelder für den Wohnungsbau und die Linderung sozialer Not einzusetzen.
Ein weiterer Impulsgeber war für Damaschke neben den bodenreformerischen Texten der Sozialreformer Henry George. Zum Freiland-Konzept des Wirtschaftstheoretikers Silvio Gesell bestehen gewisse Parallelen, obwohl beide sich stark voneinander distanzierten.
Damaschke versuchte seine Einsichten in die Praxis umzusetzen und gründete daraufhin unter anderem Siedlungsgesellschaften und Mietergenossenschaften – so zum Beispiel in Frankfurt (Oder). Er entwickelte eine umfangreiche Vortragstätigkeit und brachte in zahlreichen Schriften und Büchern seine Gedanken zu Papier. In christlichen Kreisen wurde sein Gedankengut vor allem auch durch den HamburgerBaptistenpastor Carl August Flügge verbreitet. Auch mit dem expansionistischen, national-liberalen Sozialreformer Friedrich Naumann verband ihn eine enge Freundschaft.
Auch wenn Damaschkes Ideen sich „großräumig“ nicht durchsetzen konnten, so haben sie dennoch das politische Denken und Handeln seiner Zeitgenossen stark beeinflusst. 76 Abgeordnete verschiedener politischer Parteien der Weimarer Nationalversammlung von 1919 waren so genannte „Damaschkianer“. Mit ihrer Hilfe gelang es, folgenden Artikel in die Reichsverfassung einzubringen:
- Artikel 155. [Bodenverteilung und Nutzung] Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern…Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse, zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist, kann enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen. Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeits- oder Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen. Alle Bodenschätze und alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte stehen unter der Aufsicht des Staates. Private Regale sind im Wege der Gesetzgebung auf den Staat zu überführen.
Ein weiterer politischer Erfolg der Bodenreformbewegung Damaschkes war das Reichsheimstättengesetz von 1920.
Die Anhängerschaft Damaschkes war zu Beginn der Weimarer Republik so stark, dass man ihn für den Fall einer Volkswahl zum Kandidaten für das Amt des Reichspräsidenten kürte. Da sich aber der Reichstag am 24. Oktober 1922 mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit auf Friedrich Ebert verständigte, unterblieb die Volkswahl verfassungsgemäß und damit auch Damaschkes Kandidatur.
In der folgenden Zeit entwickelten sich starke Widerstände gegen seine Reformideen. Die politischen Parteien wandten sich von Damaschke ab, weil er parteilos blieb. Die großen Tageszeitungen versagten ihm ihre Unterstützung aus Angst, ihre kapitalkräftigen Anzeigenkunden zu verlieren. Man verdächtigte ihn sogar öffentlich des verkappten Kommunismus. Im Jahre 1931 kam es zum offenen Konflikt mit Walther Darré.